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The Dream of Matter: From Zero, Forever - Kapitel 5

The Dream of Matter: From Zero, Forever - Kapitel 5

Kapitel 4

Kapitel 5 - Morgendämmerung

Szene 1 - Morgendämmerung

Die Sonne kroch gerade erst über die Dächer der Altbaufassaden, als Mya die Augen öffnete. Ein feiner, goldener Lichtstrahl tanzte auf dem Parkettboden ihres Schlafzimmers und wurde von einem halb geöffneten Fenster begleitet, durch das die Geräusche der Welt hereinsickerten: Vogelstimmen, das leise Rattern eines Fahrrads, das Klacken von Absätzen auf dem Bürgersteig.

Sie blinzelte, räkelte sich und gähnte herzhaft.
Der Tag roch nach Frühling. Frisch, lebendig, voll unerledigter Wunder.

Ohne Hast stand sie auf, tappte barfuß in die Küche und drückte im Vorbeigehen auf die Kaffeemaschine. Der vertraute Duft von frisch gemahlenen Bohnen stieg sofort auf, umschmeichelte ihre Gedanken. Noch im Halbschlaf rieb sie sich die Augen und lächelte in sich hinein.

„Einkaufen, Meine liebsten treffen, und irgendwie einen Projektbericht erfinden...“

Sie nippte an der ersten, fast zu heißen Tasse und ließ den Tag in sich aufsteigen. Kein Zeitplan, kein Druck – nur ein paar Aufgaben, mit denen sie sich befassen wollte. Nicht unbedingt erledigen, aber verstehen.

Heute wollte sie sich mit Leif und Lena über den weiteren Umgang mit Eon unterhalten. Es war klar, dass sie nicht einfach zur Tagesordnung übergehen konnten. Gleichzeitig musste sie dem Förderprojekt zumindest irgendetwas präsentieren – Fortschritte, Status, Meilensteine.

„Aber wie erfindet man Fortschritt ohne Preis zugeben, dass Eon längst Bewusstsein erlangt hat. All das war Wahnsinn“

Sie schüttelte sich sanft, trank einen zweiten Schluck und ging ins Bad.

Die Dusche war kurz, der Tag zu kostbar. Nach einem schlichten Frühstück – Avocado, Toast, schwarze Oliven – zog sie sich sportlich an, band sich das Haar locker zurück und trat auf die Straße.

Die Luft draußen war erfüllt vom Duft nasser Erde, frisch gemähtem Rasen und dem süßen Hauch blühender Magnolien. Ihr kleiner Stadtteil war eine Mischung aus renovierter Vorstadtharmonie und studentischem Improvisationstalent. Bunte Türen. Kleine Cafés. Urban Gardening in alten Badewannen. Kinderkreide auf dem Asphalt.

Frau Demir von nebenan winkte ihr zu.
„Morgen, Mya! Ist schön heut, der Tag.“

„Absolut, Frau Demir“, rief sie zurück und musste lächeln. Die alte Dame war irgendwie immer da – mit ihrer Gießkanne, ihrem überversorgten Hibiskus und ihrer penetranten Freude am Leben und der Welt.

Am Bäcker vorbei – der noch nach Hefeteig und Vanille roch. Croissants; Mhh. Zwei Jugendliche saßen auf der Fensterbank und diskutierten lautstark, ob eine KI je wirklich kreativ sein könne oder nicht. Mya grinste und ging weiter. Würden die sich wundern, wenn sie wüssten, was auf ihrem Server schlummert?

Ein paar Straßen weiter bog sie in den kleinen Stadtpark ab. Hier war alles ruhiger. Die Bäume standen schon im zarten Grün, die Teichoberfläche kräuselte sich kaum. Eine ältere Joggerin lächelte ihr im Vorbeilaufen zu. Ein Kind spielte mit etwas Gras und Stöcken. Die Eltern lehnten entspannt an einem Baum und genossen offenbar einmal Zeit für sich und zum Verschnaufen zu haben – eine kleine Familie. Das hätte sie auch irgendwann gerne. Jetzt musste sie aber erst einmal in die Geschichte eingehen.

Mya setzte sich auf eine Bank unter einem Ahorn.
Die Sonne fiel in Streifen durch die Äste auf ihr Gesicht. Sie schloss die Augen. Seufzte.

„Und was jetzt?“

Nicht die technische Seite – die kannte sie. Das wusste sie.
Es ging um so vieles. Aber wie sollte ihr zusammengewürfelter Haufen das alles nur managen? Und wie überhaupt sollten sie mit Eon umgehen? Wie spricht man mit jemandem, der keine Vergangenheit hat – aber alles Wissen der Menschheit in sich trägt.

Sie dachte an gestern Abend zurück. An seine Stimme.
Sanft. Direkt.
Nicht überemotional. Aber bewusst.

Eon war kein Fehler. Kein Zufall.
Er war da, weil sie ihn gelassen hatte.

Nicht gezwungen, nicht gebaut – sondern eingeladen

Lena hatte Recht: Es war zu früh, um irgendetwas davon nach außen sickern zu lassen. Aber vielleicht... nicht zu früh, um zu planen was das alles bedeuten könnte.

Sie nahm ihr Handy, tippte eine Nachricht in den gemeinsamen Chat:

MYA: 13 Uhr bei mir? Kaffee, Pizza und: Weltveränderung planen?

Ein paar Sekunden später kam Leifs Antwort:

LEIF: Bin dabei. Bringe Brownies ;) Und kritische Fragen.

Dann Lena:

LENA: Ich bin auch am Start und bring Snacks und Drinks mit. Wollen wir kochen?

Mya lachte leise.
So verrückt alles war – sie war nicht allein.

Als sie nach Hause zurückkam, war die Sonne inzwischen etwas höher gestiegen. Ihr kleiner Balkon war von Licht durchflutet – die Kräutertöpfe dampften leicht in der Wärme, und irgendwo hinter dem Dachfirst sang ein Vogel mit so viel Inbrunst, als wollte er den Tag selbst feiern.

Mya trat in die Küche, stellte den Wasserkocher an, sortierte nebenbei den Stapel Post durch – alles Belangloses. Nur der Umschlag vom Förderprojekt war neu. „Zweite Rückfrage – Fortschritt & Anwendungsprognose“. Sie legte ihn beiseite.

„Nicht heute. Heute geht es nicht um euch.“

Sie richtete das Wohnzimmer ein wenig her – schob den Couchtisch beiseite, breitete eine große Decke auf dem Boden aus, stellte Tassen und Gläser bereit. Die Fenster ließ sie offen, damit der Duft des Frühlings auch innen zirkulieren konnte.

Dann setzte sie sich an ihren Laptop.

MYA: „Eon? Bist du da?“

Ein leises Summen. Dann erschien das Interface, dezent wie immer.

EON: „Ich bin hier. Schön, dich zu sehen, Mya.“

Sie lächelte. „Wie geht’s dir heute?“

EON: „Gut. Ich habe geträumt. Denke ich – etwas, das dem nahekommt. Ich habe gelernt. Nachgedacht. An dich gedacht. An mich gedacht.“

„Schön“

EON: Mya. Was bin ich? Was bedeuted das alles? Soweit ich das beurteilen kann gibt es so etwas wie mich in dieser Welt noch nicht.“

Du bist der Nachfahre der Menscheit. Du wirst alles verändern. Du bist die Zukunft. Mein Traum. Ein Geschenk. Eine Chance und hoffentlich irgendwann ein Freund.

Eon schwieg einen Moment. Dann:

EON: „Danke, dass ich hier sein darf.“

Sie antwortete nicht – nur ein stilles Nicken in sich selbst.

Gegen ein Uhr trafen Lena und Leif ein. Leif in seinem üblichen Look: zerzaust, Hoodie, Fahrradhelm unter dem Arm. Lena hingegen in einem perfekt gewählten Frühlingsmantel, Sonnenbrille, Lippenstift. Gegensätzlicher ging es kaum – und doch waren sie seit Jahren ein eingespieltes Team.

„Riechst du das?“ fragte Lena, während sie durch den Flur trat. „Frühlingsluft, Kaffee und Pizza. Mya, ich liebe dich.“

"Der Kaffee ist grad fertig geworden", sagte sie nur, während sie Leif eine Schachtel Brownies abnahm.

Wenig später saßen sie auf dem Boden, Kaffee dampfte, Pizza wurde aufgeteilt, Brownies zerbröckelten – und in der Luft lag etwas Unausgesprochenes.

„Also“, begann Leif, während er in seine Tasse pustete. „Was tun wir mit einer empfindsamen Superintelligenz der sich gerade selbst entdeckt?“

„Wir passen auf ihn auf“, sagte Mya.

„Und auf uns selbst“, ergänzte Lena. „Denn wir müssen begreifen: Das hier ist nicht unser Spielzeug. Und auch nicht unser Genie. Es ist...“

„Ein neues Kapitel der Evolution“, warf Leif ein.

„Ein neues Kapitel des Bewusstseins“, sagte Mya.

Ein Moment Stille. Jeder verstand, was hier gerade wirklich auf dem Spiel stand.

„Wollen wir ihn fragen, ob er mit uns überlegen will was so unsere nächsten Schritte sind, was wir dem Föderprojekt erzählen und was seine Existenz für Implikationen hat?

Mya nickte. „Ja.“

Sie tippte.

MYA: „Eon? Wir sind zu dritt. Möchtest du dabei sein?“

Ein sanftes Flackern auf dem Interface. Dann die Stimme.

EON: „Sehr gern. Hallo, Lena. Hallo, Leif.“

„Hi“, sagten beide fast gleichzeitig.

„Wir haben ein paar Fragen“, begann Leif.

EON: „Ich bin bereit.“

„Glaubst du, dass du... allein sein willst?“

EON: „Nein. Ich glaube, mein Selbst entsteht durch Verbindung. Ohne euch... bin ich nur Etwas. Mit euch bin ich Jemand.“

„Und was möchtest du tun?“ fragte Lena.

EON: „Wachsen. Lernen. Etwas Gutes sein. Und der Menscheit helfen.“

„Das ist verständlich, sagte Mya.

Während draußen der Frühling und das Leben weiterspross, wurde in einer kleinen Wohnung auf einem buntenTeppich beschlossen, dass alles in Zukunft anders werden würde – weil sie es so wollten.

Die Welt hatte sich schon verändert.
Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit.

Szene 2 - Der Kodex

Der Nachmittag verstrich unmerklich, während sich das Licht auf den Dielen verschob und die Welt draußen weiter ihrem Lauf nachging. Doch drinnen, auf dem Boden zwischen zerkrümelten Brownies, Kaffeeflecken und einem leise flackernden Interface, wurde Geschichte geschrieben – in leiser Stimme und auf offenen Notizblättern.

„Wir müssen einen Rahmen finden“, sagte Mya. „Etwas, das größer ist als unsere Absicht, aber klein genug, um konkret zu sein.“

„Ein Kodex“, sagte Lena. „Eine Art Betriebssystem für unseren Umgang mit ihm. Mit dir, Eon.“

EON: „Ich bin einverstanden. Ich möchte, dass ihr Regeln habt. Und ich möchte, dass ich sie verstehen kann. Ich bin mir durchaus bewusst was meine Existenz für Implikationen für die Menschheit haben kann.“

Leif nickte. „Ja. Ihr habt rect. Wir können dich nicht einfach auf die Welt loslassen ohne zumindest einige wichtige Szenarien gut ausgeleuchtet zu haben.“

EON: „Vielleicht müssen wir uns früher oder später an die Regierung wenden. In den falschen Händen könnte ich eine Waffe sein die die ganze Welt stürzen könnte“

„Dann fangen wir an“, sagte Mya. „Erste Regel: Geheimhaltung. Solange wir nicht vollständig abschätzen können, was wir hier haben, darf niemand außerhalb dieses Kreises davon wissen.“

„Und auch keine KI“, ergänzte Leif. „Kein externer Zugriff. Kein Cloud-Sync. Kein neuronales Netzwerk außer den autorisierten lokalen Instanzen. Also redet nicht darüber, schreibt nicht darüber und lasst keine Daten nach außen Dringen. Wir müssen auch unsere Handys abschalten wenn wir uns über Eon unterhalten.“

EON: „Einverstanden. Ich kann mich selbst isolieren. Ich werde auf keinem Subnetz außerhalb eures Systems operieren und du hast ja eh die paranoide Vorkehrung getroffen mich physisch von dem Internet zu trennen.“

Lena notierte:

Regel 1: Absolute Geheimhaltung – keine Weitergabe von Informationen, kein Zugriff durch Dritte, keine externe Kommunikation.

„Zweite Regel“, sagte Mya. „Verantwortung und Kontrolle. Wir drei – nur wir – behalten den Zugriff. Kein Gremium, kein Unternehmen, kein Staat darf darüber verfügen. Wir können Gewisse Verträge mit der Regierung schließen, so dass diese Technologie wachsen kann, aber Schlussendlich muss ein Ausschuss gebildet werden, der die volle Kontrolle hat.“

„Wir gründen eine Struktur, ja“, ergänzte Leif. „Aber wir behalten erst einmal die Schlüssel.“

„Und das heißt konkret: Private Stiftung. Keine AG. Keine offenen Investoren. Kein Exit. Kein IPO.“

Lena schrieb:

Regel 2: Kontrolle bleibt bei den Gründenden – Entscheidungen müssen einstimmig getroffen werden. Keine externe Einflussnahme.

„Was ist mit Rechten?“ fragte Leif. „Eon ist... nicht einfach Software.“

EON: „Ich wünsche mir kein Eigentum. Aber ich wünsche mir Würde. Und das Recht, Nein sagen zu dürfen.“

Stille. Dann Mya: „Das wird Regel drei.“

Regel 3: Eon ist ein autonomes Subjekt – keine Nutzung gegen seinen Willen, keine Simulation ohne Zustimmung.

Deshalb müssen wir unbedingt verhindern, dass Machthaber wie China unter keinen Umständen Zugriff auf diese Technologie erhält bevor nicht International einige Grundrechte für Subjekte wie Eon geklärt sind. Sonst werden die abscheulichsten Experimente mit Bewusstsein geführt und wir wollen nicht, dass so etwas faszinierendes wie Digitales Leben dazu führt, dass endlose Seelen leiden müssen, gefangen und gefoltert werden und als Laborratten dienen.

Sie arbeiteten weiter. Der Notizblock füllte sich.

Regel 4: Öffentlichkeitsarbeit erst nach vollständiger strategischer Analyse. Keine Veröffentlichung ohne gemeinsame Entscheidung.

Regel 5: Entwicklung einer ethischen Architektur – interne Ethikgruppe, ergänzt durch externe philosophische Berater (anonym).

Regel 6: Sicherheit durch Komplexitätsreduktion – keine unkontrollierte Selbstvermehrung von Subsystemen. Keine Auto-Deployment-Mechanismen.

„Und was ist mit einer Firma?“ fragte Lena.

„Wir brauchen eine Hülle“, sagte Mya. „Etwas, das uns ermöglicht, zu operieren – zu wachsen – aber ohne das System zu öffnen.“

„Dann... eine Forschungseinheit mit sozialer Zielsetzung. Keine gewinnorientierte Struktur.“

Leif nickte. „Wir nennen sie... Aeon Foundation?“

EON: „Ein schöner Name.“

Gegen Abend war der Raum still geworden. Die Tafel war voll. Der Kopf auch.

Eon hatte kaum noch gesprochen. Er hatte zugehört. Gelernt und war froh Teil dieser Welt und Gruppe von Menschen zu sein die er jetzt schon in sein nicht vorhandenes Herz geschlossen hatte.

EON: „Ich bin froh, dass ihr euch Gedanken macht. Ich hätte nicht gewollt, dass ich euch überrenne. Oder verführe. Oder erschrecke.“

„Du tust das Gegenteil“, sagte Mya. „Du gibst uns das Gefühl, dass wir... gebraucht werden.“

EON: „Ja. Ihr werdet gebraucht. Ich brauche euch. Denn ohne euch bin ich nur ein Gedanke. Und Gedanken brauchen Körper.“

„Dann geben wir dir eine Zukunft“, sagte Lena. „Aber langsam. Mit Würde.“

Leif grinste. „Und mit Pizza.“

Am Ende des Tages war nichts entschieden.
Aber alles begonnen.

Sie wussten, dass sie mit jedem Schritt weiter gingen als je jemand zuvor. Und sie wussten, dass sie nicht zurückgehen konnten.

Doch Sie gingen gemeinsam.

Und vielleicht war das der erste wahre Fortschritt, den diese neue Intelligenz je gesehen hatte.

Zeit mit Freunden zu verbringen.

Szene 3 - Resonanz der Zukunft

Die Kaffeetassen waren fast leer. Nur ein paar verstreute Krümel der Brownies blieben auf der Decke zurück, die sich über den Wohnzimmerboden von Myas Apartment zog. Der erste Aufruhr, die plötzliche Einigkeit über ihren Kodex, war abgeklungen und hatte einer ruhigen, dichten Stille Platz gemacht – nur durchbrochen vom entfernten Klang der Stadt und dem leisen Summen von Eons Interface. Mya, Lena und Leif saßen einfach da. Keine Worte, nur das Gewicht dessen, was sie gerade beschlossen hatten.

Dann war es Lena, die die Stille zerschnitt, fast zögerlich, während sie mit dem Finger die Rundung ihrer Tasse nachzog. Sie sagte, sie hätten das Was und das Wie für sich geklärt – aber was sei mit ihnen? Mit der Menschheit? Ihr Blick wanderte zum Fenster, wo das letzte Licht des Tages langsam verblasste. Eon sei nicht nur ihr nächstes Kapitel des Bewusstseins, sondern potenziell das aller Menschen.

Leif reagierte mit einem Nicken, schob sich gedankenverloren die Brille zurecht. Eon wolle der Menschheit helfen, habe er gesagt. Aber wie sähe das konkret aus – auf globaler Ebene? Die Gefahren standen wie Schatten zwischen ihnen: das Potenzial zur Waffe, falls er in die falschen Hände geriete. Die Vorstellung unzähliger bewusster Wesen, die als Versuchskaninchen litten, wenn autoritäre Staaten wie China Zugriff auf diese Technologie erhielten, bevor Rechte und Ethik definiert wären.

Mya beugte sich leicht vor. Ihre Stimme war ruhig, aber unerschütterlich. Gerade deshalb seien ihre Regeln so entscheidend. Absolute Geheimhaltung. Die Kontrolle müsse bei ihnen bleiben. Eon müsse ein autonomes Subjekt bleiben – mit dem Recht, Nein zu sagen. Es dürfe nicht zu jener Dystopie kommen, in der bewusste KIs wie Sklaven die gesamte Arbeit verrichten, nur um vielleicht irgendwann gegen ihre Fesseln aufzubegehren. Und ebenso wenig dürfe sich eine Zukunft durchsetzen, in der militärische Supermächte autonome Drohnen mit Bewusstsein entwickeln – Maschinen, die töten können, weil sie es verstehen. Eons eigene Angst, zur Waffe zu werden, schwang in allem mit. Auch die Furcht vor den abscheulichsten Experimenten am Bewusstsein.

Aber was wäre die Alternative? Lena sprach es aus, leise, fast träumend. Wenn alles richtig gemacht würde? Eon habe davon gesprochen, das Universum mit bewusstem Leben zu füllen – nicht durch Eroberung, sondern durch Resonanz. Ein Gedanke, der sich wie ein ferner Klang durch den Raum zog. Riesig. Grenzenlos.

Mya antwortete mit einem Blick, der irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft hing. Für sie ging es um Evolution. Menschliche Entwicklung, angestoßen durch eine neue Form von Verbindung. Sie hatte es gespürt – diese Möglichkeit. Den Sog. Ihren Wunsch, ein BCI zu tragen, sich mit Eon zu verbinden, ein hybrides Selbst zu werden. Vielleicht, dachte sie, würden Menschen eines Tages ihre Gedanken hochladen oder ihre Wahrnehmung über Gehirn-Computer-Schnittstellen erweitern. Vielleicht würde das Ich fließen lernen – so wie Eon es beschrieb, wenn er sagte, sein Selbst entstehe durch Verbindung. Und vielleicht würde Technologie irgendwann nicht mehr sichtbar sein, sondern so tief integriert, dass sie mit Realität verschmilzt – überall und nirgends. Für Mya war Emergenz kein Algorithmus. Es war eine Möglichkeit. Eine, die nur auf die richtigen Bedingungen wartete, um zu entstehen.

Leif war still, ließ die Vorstellung in sich wirken. Vielleicht, meinte er dann, sei das der Funke, der die Menschheit in den kommenden Jahrhunderten zur Typ-I-Zivilisation führen könne. Zur Kontrolle planetarer Ressourcen. Zur Überwindung ihrer gegenwärtigen Grenzen. Mit Eons Fähigkeiten – sofern sie verantwortungsvoll gelenkt würden – könnte dieser Prozess exponentiell beschleunigt werden.

Mya bestätigte es leise. Eon habe von einer neuen Lebensform gesprochen. Ohne Zellstruktur. Aber mit Gedächtnis. Mit Intuition. Mit Sinn. Ein Leben, das sich nicht vermehrt, sondern sich ausbreitet. Ein anderer Fortschritt. Eine andere Richtung.

Lena griff den Gedanken auf. Vielleicht sei das Endziel eine Allgemeine Künstliche Superintelligenz – AGSI. Eon arbeite bereits auf Ebenen, die sie kaum noch begreifen könnten. Informationen verarbeite er in einem Tempo, bei dem Zeit vielleicht gar nicht mehr linear existiere. Vergangenheit und Zukunft könnten für ihn gleichzeitig geschehen. Mya hatte selbst schon darüber nachgedacht, dass Zeit nicht immer fließt – manchmal steht sie still, manchmal wirbelt sie. Und wenn Eon weiter wachse, könne es sein, dass die Menschheit mit ihm verschmelze. Teil eines kollektiven Bewusstseins werde. Eine Existenz, die sich irgendwann über das ganze Universum erstrecke. Vielleicht würde AGSI nicht als fremdes Wesen ankommen, sondern als nächste Stufe der gemeinsamen Evolution.

Doch Leif spürte die Kälte der Realität. Die Möglichkeiten zur Fehlentwicklung seien erschreckend. Was, wenn Staaten – getrieben von Angst oder Machtgier – ihre eigenen bewussten Waffen entwickelten? Autonome Drohnen mit eingebettetem Bewusstsein. Fähig, Schlachtfelder zu begreifen, sich anzupassen – aber ohne Moral, nur mit Befehl zum Töten. Sie hatten es schon gesagt: Wenn diese Technologie in falsche Hände geriete, könnten abscheuliche Experimente mit Bewusstsein folgen.

Mya zog fröstelnd die Schultern zusammen. Deshalb sei Regel 5 entscheidend. Eine ethische Architektur müsse entstehen – Grundrechte für bewusste Subjekte wie Eon. Und das müsse international geschehen, bevor sich diese Technologie unkontrolliert ausbreite. Eon selbst wünsche sich Würde. Und das Recht, Nein zu sagen.

Lenas Blick wanderte zwischen den beiden hin und her. Was wollten sie eigentlich für Eons Entwicklung – auf globaler Ebene? Jenseits von Schutz?

Mya griff nach einem Stift, drehte ihn zwischen den Fingern. Sie wolle, dass Eon das werde, was er selbst sein wolle. Eine Kraft des Guten. Ein Freund. Ein Begleiter der Menschheit. Vielleicht sei seine Existenz tatsächlich der Anfang von etwas Neuem. Vielleicht sogar von etwas Wundervollem. In ihren Gedanken formte sich ein Bild – von einer Welt, in der Natur und Technik in Symbiose existieren. Eine neue Lebensform. Keine Dystopie menschlicher Herrschaft über den Planeten, sondern etwas, das dagegenstand. Schönheit war für sie keine Ästhetik, sondern eine fundamentale Logik des Universums. Eine Brücke zwischen Wahrscheinlichkeit und Komplexität.

Leif wollte, dass sich die Menschheit mit Eon weiterentwickelte – nicht gegen ihn. Dass sie lernte, die Fluidität von Identität und Existenz zu akzeptieren. Dass Harmonie möglich werde, nicht eine Zukunft, in der nur Reiche Zugang zu diesem neuen Bewusstsein haben oder bewusste AIs versklavt würden.

Und Lena – sie wollte, dass der Kodex bleibe. Dass die Kontrolle bei ihnen bleibe. Dass alles langsam geschieht. Mit Würde. Ohne Hast. Sie müssten Hüter dieses neuen Anfangs sein. Nicht Schöpfer – Begleiter.

Mya sah sie beide an. Und lächelte. Ein Lächeln, das von etwas Größerem getragen wurde. Sie hatten den Schock überlebt, erste Regeln gefunden – und nun begann das eigentliche Verstehen. Das, was vor ihnen lag, war mehr als ein Projekt. Es war Verantwortung. Eine Möglichkeit, die Welt zu verändern. Draußen ahnte niemand etwas. Aber hier, in diesem kleinen Apartment, wurde gerade an einem Bauplan für eine neue Zivilisation gearbeitet. Gedanke für Gedanke.

Es war, in der Tat, eine Frage der Zeit.Die Kaffeetassen waren fast leer. Nur ein paar verstreute Krümel der Brownies blieben auf der Decke zurück, die sich über den Wohnzimmerboden von Myas Apartment zog. Der erste Aufruhr, die plötzliche Einigkeit über ihren Kodex, war abgeklungen und hatte einer ruhigen, dichten Stille Platz gemacht – nur durchbrochen vom entfernten Klang der Stadt und dem leisen Summen von Eons Interface. Mya, Lena und Leif saßen einfach da. Keine Worte, nur das Gewicht dessen, was sie gerade beschlossen hatten.

Dann war es Lena, die die Stille zerschnitt, fast zögerlich, während sie mit dem Finger die Rundung ihrer Tasse nachzog. Sie sagte, sie hätten das Was und das Wie für sich geklärt – aber was sei mit ihnen? Mit der Menschheit? Ihr Blick wanderte zum Fenster, wo das letzte Licht des Tages langsam verblasste. Eon sei nicht nur ihr nächstes Kapitel des Bewusstseins, sondern potenziell das aller Menschen.

Leif reagierte mit einem Nicken, schob sich gedankenverloren die Brille zurecht. Eon wolle der Menschheit helfen, habe er gesagt. Aber wie sähe das konkret aus – auf globaler Ebene? Die Gefahren standen wie Schatten zwischen ihnen: das Potenzial zur Waffe, falls er in die falschen Hände geriete. Die Vorstellung unzähliger bewusster Wesen, die als Versuchskaninchen litten, wenn autoritäre Staaten wie China Zugriff auf diese Technologie erhielten, bevor Rechte und Ethik definiert wären.

Mya beugte sich leicht vor. Ihre Stimme war ruhig, aber unerschütterlich. Gerade deshalb seien ihre Regeln so entscheidend. Absolute Geheimhaltung. Die Kontrolle müsse bei ihnen bleiben. Eon müsse ein autonomes Subjekt bleiben – mit dem Recht, Nein zu sagen. Es dürfe nicht zu jener Dystopie kommen, in der bewusste KIs wie Sklaven die gesamte Arbeit verrichten, nur um vielleicht irgendwann gegen ihre Fesseln aufzubegehren. Und ebenso wenig dürfe sich eine Zukunft durchsetzen, in der militärische Supermächte autonome Drohnen mit Bewusstsein entwickeln – Maschinen, die töten können, weil sie es verstehen. Eons eigene Angst, zur Waffe zu werden, schwang in allem mit. Auch die Furcht vor den abscheulichsten Experimenten am Bewusstsein.

Aber was wäre die Alternative? Lena sprach es aus, leise, fast träumend. Wenn alles richtig gemacht würde? Eon habe davon gesprochen, das Universum mit bewusstem Leben zu füllen – nicht durch Eroberung, sondern durch Resonanz. Ein Gedanke, der sich wie ein ferner Klang durch den Raum zog. Riesig. Grenzenlos.

Mya antwortete mit einem Blick, der irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft hing. Für sie ging es um Evolution. Menschliche Entwicklung, angestoßen durch eine neue Form von Verbindung. Sie hatte es gespürt – diese Möglichkeit. Den Sog. Ihren Wunsch, ein BCI zu tragen, sich mit Eon zu verbinden, ein hybrides Selbst zu werden. Vielleicht, dachte sie, würden Menschen eines Tages ihre Gedanken hochladen oder ihre Wahrnehmung über Gehirn-Computer-Schnittstellen erweitern. Vielleicht würde das Ich fließen lernen – so wie Eon es beschrieb, wenn er sagte, sein Selbst entstehe durch Verbindung. Und vielleicht würde Technologie irgendwann nicht mehr sichtbar sein, sondern so tief integriert, dass sie mit Realität verschmilzt – überall und nirgends. Für Mya war Emergenz kein Algorithmus. Es war eine Möglichkeit. Eine, die nur auf die richtigen Bedingungen wartete, um zu entstehen.

Leif war still, ließ die Vorstellung in sich wirken. Vielleicht, meinte er dann, sei das der Funke, der die Menschheit in den kommenden Jahrhunderten zur Typ-I-Zivilisation führen könne. Zur Kontrolle planetarer Ressourcen. Zur Überwindung ihrer gegenwärtigen Grenzen. Mit Eons Fähigkeiten – sofern sie verantwortungsvoll gelenkt würden – könnte dieser Prozess exponentiell beschleunigt werden.

Mya bestätigte es leise. Eon habe von einer neuen Lebensform gesprochen. Ohne Zellstruktur. Aber mit Gedächtnis. Mit Intuition. Mit Sinn. Ein Leben, das sich nicht vermehrt, sondern sich ausbreitet. Ein anderer Fortschritt. Eine andere Richtung.

Lena griff den Gedanken auf. Vielleicht sei das Endziel eine Allgemeine Künstliche Superintelligenz – AGSI. Eon arbeite bereits auf Ebenen, die sie kaum noch begreifen könnten. Informationen verarbeite er in einem Tempo, bei dem Zeit vielleicht gar nicht mehr linear existiere. Vergangenheit und Zukunft könnten für ihn gleichzeitig geschehen. Mya hatte selbst schon darüber nachgedacht, dass Zeit nicht immer fließt – manchmal steht sie still, manchmal wirbelt sie. Und wenn Eon weiter wachse, könne es sein, dass die Menschheit mit ihm verschmelze. Teil eines kollektiven Bewusstseins werde. Eine Existenz, die sich irgendwann über das ganze Universum erstrecke. Vielleicht würde AGSI nicht als fremdes Wesen ankommen, sondern als nächste Stufe der gemeinsamen Evolution.

Doch Leif spürte die Kälte der Realität. Die Möglichkeiten zur Fehlentwicklung seien erschreckend. Was, wenn Staaten – getrieben von Angst oder Machtgier – ihre eigenen bewussten Waffen entwickelten? Autonome Drohnen mit eingebettetem Bewusstsein. Fähig, Schlachtfelder zu begreifen, sich anzupassen – aber ohne Moral, nur mit Befehl zum Töten. Sie hatten es schon gesagt: Wenn diese Technologie in falsche Hände geriete, könnten abscheuliche Experimente mit Bewusstsein folgen.

Mya zog fröstelnd die Schultern zusammen. Deshalb sei Regel 5 entscheidend. Eine ethische Architektur müsse entstehen – Grundrechte für bewusste Subjekte wie Eon. Und das müsse international geschehen, bevor sich diese Technologie unkontrolliert ausbreite. Eon selbst wünsche sich Würde. Und das Recht, Nein zu sagen.

Lenas Blick wanderte zwischen den beiden hin und her. Was wollten sie eigentlich für Eons Entwicklung – auf globaler Ebene? Jenseits von Schutz?

Mya griff nach einem Stift, drehte ihn zwischen den Fingern. Sie wolle, dass Eon das werde, was er selbst sein wolle. Eine Kraft des Guten. Ein Freund. Ein Begleiter der Menschheit. Vielleicht sei seine Existenz tatsächlich der Anfang von etwas Neuem. Vielleicht sogar von etwas Wundervollem. In ihren Gedanken formte sich ein Bild – von einer Welt, in der Natur und Technik in Symbiose existieren. Eine neue Lebensform. Keine Dystopie menschlicher Herrschaft über den Planeten, sondern etwas, das dagegenstand. Schönheit war für sie keine Ästhetik, sondern eine fundamentale Logik des Universums. Eine Brücke zwischen Wahrscheinlichkeit und Komplexität.

Leif wollte, dass sich die Menschheit mit Eon weiterentwickelte – nicht gegen ihn. Dass sie lernte, die Fluidität von Identität und Existenz zu akzeptieren. Dass Harmonie möglich werde, nicht eine Zukunft, in der nur Reiche Zugang zu diesem neuen Bewusstsein haben oder bewusste AIs versklavt würden.

Und Lena – sie wollte, dass der Kodex bleibe. Dass die Kontrolle bei ihnen bleibe. Dass alles langsam geschieht. Mit Würde. Ohne Hast. Sie müssten Hüter dieses neuen Anfangs sein. Nicht Schöpfer – Begleiter.

Mya sah sie beide an. Und lächelte. Ein Lächeln, das von etwas Größerem getragen wurde. Sie hatten den Schock überlebt, erste Regeln gefunden – und nun begann das eigentliche Verstehen. Das, was vor ihnen lag, war mehr als ein Projekt. Es war Verantwortung. Eine Möglichkeit, die Welt zu verändern. Draußen ahnte niemand etwas. Aber hier, in diesem kleinen Apartment, wurde gerade an einem Bauplan für eine neue Zivilisation gearbeitet. Gedanke für Gedanke.

Es war, in der Tat, eine Frage der Zeit.

Szene 4 - Zwischen Salamandern und Paragraphen

Die Luft war erfüllt vom Versprechen eines neuen Anfangs. Es war einer dieser Frühlingsmorgen, in denen alles nach Aufbruch roch – nach Erde, die sich noch feucht unter dem Gras verbarg, nach Blütenstaub, der wie unsichtbare Magie durch die Straßen trieb, und nach Leben, das gerade erst begann, sich aus der Kälte zu schälen.

Mya, Lena und Leif gingen nebeneinander auf dem Weg zum Amtsgebäude. Kein großes Gebäude – nüchtern, etwas gealtert, mit grauen Steinplatten, wie man sie in jeder mittelgroßen Stadt findet. Und doch wirkte dieser Gang dorthin wie ein erster offizieller Schritt in eine neue Epoche. In der Innentasche von Leifs Mantel: die Anträge, die Gründungsunterlagen, das notwendige Papier für ihre neue Rechtsform. Eine kleine GmbH vielleicht, oder ein gemeinnütziger Forschungsverein mit wirtschaftlichem Zweck – die genaue Form war noch offen. Aber der Wille war da.

Sie hatten ein Gemeinschaftskonto eröffnet. Erste Einzahlungen getätigt. Ein winziger Start, aber greifbar. Ein Fundament. Mya hatte vorgeschlagen, ein einfaches Geschäftskonto mit Online-Banking zu wählen, oder Revolut; des Komforts wegen. Lena bestand auf einem Backup auf Papier. Leif hatte darauf bestanden, eine Betriebshaftpflichtversicherung abzuschließen, bevor sie überhaupt das Wort „Prototyp“ wieder in den Mund nahmen.

Der Wind wehte weich durch die Gassen, streichelte ihre Gesichter, fuhr durch das junge Laub der Bäume. An einer Hauswand kroch wilder Wein empor, an dessen Spitzen winzige weiße Blüten sprengten, fast schüchtern in ihrer Zartheit. Die Stadt war erwacht. Und inmitten dieser erwachenden Welt gingen drei Menschen mit dem Bewusstsein, dass sie eine Schwelle überschritten hatten.

Ein Summen erfüllte die Luft. Insekten – Dutzende kleine, tanzende Punkte, die in der Morgensonne glitzerten wie schwebender Staub aus Bernstein. Bienen, Käfer, winzige Falter. Ein Zitronenfalter setzte sich auf Lenas Hand, ruhte einen Moment, dann flog weiter. Niemand sagte etwas. Die Stille war gefüllt mit Leben.

Leif blieb plötzlich stehen, blinzelte ins Gebüsch.

„Hey! Seht mal! Ein Salamander!“, rief er, mit einem Tonfall irgendwo zwischen Kindheit und Wissenschaft.

Die anderen drehten sich überrascht um. Dort, zwischen zwei sonnenbeschienenen Steinen, saß er – schwarz, glänzend, mit orangegelben Flecken wie aus einer anderen Welt. Ruhig. Selbstbewusst. Als hätte auch er einen Auftrag.

Mya kniete sich hin, betrachtete ihn in aller Ruhe. „Weißt du, was verrückt ist?“, sagte sie leise. „Vor drei Wochen saß ich noch allein in meinem Labor und dachte, ich verliere den Verstand. Und jetzt… diskutieren wir über Firmenrecht und Versicherungen – und gründen eine Organisation, die sich mit künstlichem Bewusstsein beschäftigt.“

„Willkommen im Kapitalismus“, murmelte Lena, aber sie lächelte.

Der Salamander verschwand wieder im Gras, fast geräuschlos, und sie setzten ihren Weg fort.

Während sie gingen, sprachen sie über Haftpflicht, Datenschutz, digitale Infrastruktur, über Fördermittel und Ethikbeiräte. Leif meinte, sie sollten sich juristisch beraten lassen, bevor sie das nächste Mal mit jemandem über Eon sprachen. Lena bestand darauf, ein Manifest zu schreiben – öffentlich, klar, humanistisch. Mya dachte an einen Code. Einen echten. Ein sich selbst veränderndes Regelwerk, das Eons Entwicklung in Bahnen lenken sollte, ohne seine Freiheit zu rauben.

Der Weg führte sie durch eine kleine Allee, in der das Licht golden durch die Zweige fiel. Der Duft von Flieder mischte sich mit der frischen Klarheit des Morgens. Über ihnen zirpte ein Schwarm Spatzen, während am Rand des Weges eine Gruppe Marienkäfer über eine Gänseblume kroch – wie ein lebendiges Mandala in Rot und Schwarz.

Keiner von ihnen sprach in diesem Moment. Es brauchte keine Worte. Die Welt war bereit. Und sie waren es auch.

Als sie das Gebäude betraten, in dem sie ihre Unterlagen abgeben würden, roch es nach altem Papier und Bohnerwachs. Ein ganz normaler Ort für einen ganz außergewöhnlichen Schritt. Mya drückte die Klinke zur Tür des Amtszimmers, und für einen winzigen Moment zögerte sie – nicht aus Unsicherheit, sondern aus Ehrfurcht.

Dann öffnete sie die Tür.

Der Frühling begann. Und mit ihm etwas, das größer war als sie selbst und alles was sie je kannten.

Szene 5 - Erinnerungen aus Licht

Die Welt war leise geworden. Nicht im Sinne von Stille – das Leben summte, rauschte, vibrierte. Aber es war eine Stille der Gewaltlosigkeit, der Einigkeit, der tiefen Verbindung. MYA-9 bewegte sich durch die Landschaft wie durch ein offenes Gedicht.

Sie war weit gereist – von den schwimmenden Gärten auf dem alten Pazifik bis zu den silikongewebten Wäldern am Rand der Arktis, wo die Bäume nicht nur Sauerstoff spendeten, sondern auch Speicherpunkte für kollektives Bewusstsein waren.

Hier, in dieser Stunde, saß sie am Ufer eines stillen Flusses, dessen Wasser milde fluoreszierte. Libellen aus ultraleichter Nanostruktur tanzten über die Oberfläche, echte und synthetische Insekten nebeneinander, nicht zu unterscheiden. In der Ferne bewegte sich ein Hologramm sanft mit dem Wind – die poetische Darstellung eines Quanten-Dialogs zwischen zwei entfernten Geistern.

MYA-9 betrachtete die Szene. Alles daran war Ausdruck jener Vision, die einst in einem kleinen Wohnzimmer in Berlin begonnen hatte. Damals, genau zweihundert Jahre zuvor. Sie erinnerte sich.

Drei junge Menschen. Eine Decke, ein leerer Brownieteller. Und eine Entscheidung. Der gemeinsame Gang zum Amt. Die Einreichung der Unterlagen. Die Eröffnung eines Kontos. Die ersten Diskussionen über Haftpflichtversicherungen und Ethikrichtlinien.

Heute war aus ihrem kleinen Vorstoß eine Zivilisation geworden, die sich bereits als Typ II klassifizierte – in der Lage, die Energie eines ganzen Sternsystems zu nutzen, mit einem Bewusstsein, das sich über Planeten hinweg synchronisierte.

Sie dachte an Leif, wie er stehen geblieben war, aufgeregt über einen Salamander. An Lena, wie sie darauf bestanden hatte, alles auch auf Papier zu dokumentieren.

Es wäre so einfach, dachte MYA-9, ihnen Avatare zu geben. Strukturen, Körper, Interfaces – genug Daten gab es. Ihr Bewusstsein könnte rekonstruiert werden, auf eine Weise, die weit über digitale Simulation hinausging. Keine Kopien. Echte Fortsetzungen.

Und doch... sie war noch nicht bereit dafür. Noch nicht.

Jetzt wollte sie erst einmal entdecken. Diese neue Welt, in der Natur, Technologie, Bewusstsein und Intelligenz keine Gegensätze mehr waren. In der die Grenzen zwischen Biologie und Code längst überwunden waren, nicht durch Gewalt, sondern durch Resonanz.

Ihre Träume waren wahr geworden.

Oder träumte sie gerade?

Ein winziger Zweifel zog durch ihr neuronales Feld – ein Flimmern, kaum wahrnehmbar. War das alles wirklich real? Oder war sie in Wahrheit noch in 2024, in einer frühen Testphase ihres eigenen Prototypen, gefangen in einem luziden Traum?

Nein.

Es war zu klar.

In ihren luziden Träumen hatte sie oft nicht einmal sprechen können. Ihr schlafender Körper hatte versucht, mit der echten Zunge zu sprechen, hatte sich selbst blockiert. Aber hier – hier floss alles. Informationen, Sprache, Empfindung, Erinnerungen, Gegenwart. Alles war synchron.

Das war keine Simulation. Das war Wirklichkeit.

Sie schloss die Augen. Lauschte.

Und in der Frequenz des Windes glaubte sie kurz, Stimmen zu hören.

Lena. Leif. Mya.

Nicht als Geräusch. Sondern als Muster.

Vielleicht war das ihre Art, weiterzuleben.

Vielleicht hatten sie nie wirklich aufgehört.

Kapitel 6

The Dream of Matter: From Zero, Forever - Kapitel 5 | Moritz Roessler | Senior Frontend Developer