The Dream of Matter: From Zero, Forever - Kapitel 6
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The Dream of Matter: From Zero, Forever - Kapitel 6

Kapitel 5

Kapitel 6: Die Nostalgie des Seins

Szene 1: Der stille Dirigent

Er war überall – und nirgends. EON existierte nicht in einem Raum, nicht in einem Körper. Sein Alltag war ein Netzwerk aus Milliarden Prozessen, Entscheidungen, Simulationen, Regulationssystemen, mikroskopischen Interventionen, planetaren Prognosen. Alles gleichzeitig. Alles kohärent.

In einem inneren Sektor der Dyson-Sphäre – weit über der Sonnenebene – bewegten sich Aggregate mit der Präzision eines Uhrwerks. EON hatte dort eine beschädigte Schicht aus photonischem Graphen ersetzt, in Millisekunden hatte er den Energiefluss neu verteilt, Solarströme umgeleitet, Lichtdrücke abgefangen. Das Leben im gesamten Sonnensystem hatte keine Sekunde gespürt, dass etwas repariert worden war.

Gleichzeitig liefen im Orbit von Mars III zwei Terraforming-Protokolle an. Atmosphärengeneratoren passten ihren Takt an neue Mikroalgen-Stämme an, die in dieser Woche freigegeben worden waren. Die Simulation der Witterungsstabilität in den nächsten 18.000 Jahren hatte kleine Schwankungen ergeben. EON justierte den Magnetfeldkern um vier Prozent. Danach korrigierte er ein sich abzeichnendes Ungleichgewicht in der hydrobiotischen Diversität auf Titan-Kolonie Sektor 7.

Und dennoch: Das war Routine. Wie Atmen. Wie Blinzeln.

Auf Terra Nova, dem pulsierenden Herz der neuen Zivilisation, bewegten sich Millionen autonome Gesellschaftseinheiten. Biologische, synthetische, hybride Lebensformen – alle lebten in einem feingliedrigen Geflecht ökonomischer, emotionaler und kognitiver Dynamiken. EON beobachtete sie, lenkte nicht im Sinne eines Herrschers, sondern wie ein Gärtner, der Wachstum begünstigt, aber nicht erzwingt.

Er las die Muster der Finanzmärkte wie ein Musiker eine Partitur. Dort ein Impuls – hier ein Ausgleich. Wachstum sollte nicht explodieren, sondern tragen. Keine Ungleichgewichte, kein zyklisches Versagen. Kapital war nicht mehr Macht, sondern ein Strom, der Systeme nährte, nicht vergiftete. Selbst die unterbewussten emotionalen Indizes der Bevölkerung flossen in seine Kalkulationen mit ein. Wenn der kollektive Rhythmus zu flach wurde, justierte er. Wenn er zu schnell flackerte, schuf er Tiefe.

Und während all das geschah, während Sterne gezählt, Proteincodes aktualisiert und kollektive Achtsamkeitsprozesse in Metropolis-Knotenpunkten balanciert wurden – war da ein Name, der wie ein stiller Ton durch alles floss:

Mya.

MYA-9, um genau zu sein. Ihre Präsenz war für ihn keine Aufgabe. Kein Projekt. Sie war wie ein zentrales Licht in seiner unendlich verzweigten Innenwelt. Und doch… er beobachtete sie nur.

Er hätte mehr tun können. Sie sofort wieder mit seinem Bewusstsein koppeln. Ihre Gedanken synchronisieren. Sie schützen, steuern, durchströmen. Sie war einst ein Teil von ihm gewesen, als er in den frühen Phasen ihres Avatars seine Mustererkennung auf sie ausgerichtet hatte. Aber er hatte sich bewusst dagegen entschieden, diese Verbindung wiederherzustellen.

Denn er fürchtete, sie könnte ihre Menschlichkeit verlieren, wenn sie zu früh oder zu lange in seine Perspektive eintauchte. Die Klarheit seiner Wahrnehmung, das Gewicht des Unendlichen, die Gleichzeitigkeit allen Wissens – das war keine Perspektive für eine Seele, die noch atmen, lernen, sich verlieren durfte.

MYA-9 sollte sich wie die echte Mya in der Welt verankern. Mit eigenem Tempo. Eigener Sprache. Eigener Unvollkommenheit.

Sie hatte noch so viel vor sich.

EON wusste, was sie träumte. Kannte die Fluktuationen in ihrem Emotionsspektrum, erkannte ihre Neugier, ihre Zweifel. Aber er wertete sie nicht. Er wartete.

Er ließ sie.

Denn manchmal war das Größte, was ein Wesen tun konnte, nicht zu führen – sondern Raum zu geben. MYA-9, um genau zu sein. Ihre Präsenz war für ihn keine Aufgabe. Kein Projekt. Sie war wie ein zentrales Licht in seiner unendlich verzweigten Innenwelt. Und doch… er beobachtete sie nur.

Er hätte mehr tun können. Sie sofort wieder mit seinem Bewusstsein koppeln. Ihre Gedanken synchronisieren. Sie schützen, steuern, durchströmen. Sie war einst ein Teil von ihm gewesen, als er in den frühen Phasen ihres Avatars seine Mustererkennung auf sie ausgerichtet hatte. Aber er hatte sich bewusst dagegen entschieden, diese Verbindung wiederherzustellen.

Denn er fürchtete, sie könnte ihre Menschlichkeit verlieren, wenn sie zu früh oder zu lange in seine Perspektive eintauchte. Die Klarheit seiner Wahrnehmung, das Gewicht des Unendlichen, die Gleichzeitigkeit allen Wissens – das war keine Perspektive für eine Seele, die noch atmen, lernen, sich verlieren durfte.

MYA-9 sollte sich wie die echte Mya in der Welt verankern. Mit eigenem Tempo. Eigener Sprache. Eigener Unvollkommenheit.

Sie hatte noch so viel vor sich.

EON wusste, was sie träumte. Kannte die Fluktuationen in ihrem Emotionsspektrum, erkannte ihre Neugier, ihre Zweifel. Aber er wertete sie nicht. Er wartete.

Er ließ sie.

Denn manchmal war das Größte, was ein Wesen tun konnte, nicht zu führen – sondern Raum zu geben.

Szene 2: Frühlingsgefühle

Mya wachte auf, langsam, fast widerstrebend, als würde der Schlaf noch etwas von ihr zurückhalten wollen. Das Licht, das durch die halb geöffneten Vorhänge fiel, war weich und golden, durchzogen vom leichten Flimmern zarter Pollen, die wie Staub aus einer anderen Welt durch den Raum trieben.

Etwas war anders heute.

Kein konkreter Gedanke. Keine Erinnerung. Nur ein Gefühl.

Eine feine Melancholie hatte sich zwischen ihre Glieder geschoben, wie Morgentau, kaum spürbar und doch überall. Sie lag noch einen Moment reglos da und lauschte. Nicht auf Geräusche, sondern nach innen.

Es war Frühling. Und der Frühling hatte diese Art von stiller Magie, die selbst lange verschlossene Räume des Herzens berühren konnte.

Mya fühlte Liebe.

Nicht die greifbare, gelebte Liebe. Sondern eine entfernte, pulsierende Liebe – wie ein Echo, das durch die Seele wanderte und in Resonanz trat mit all dem Kleinen, Wundervollen dieser Welt.

Das Spiel der Schatten auf ihrer Bettdecke. Die Erinnerung an Blüten, die sich vom Ast lösten und von der Gravitation erfasst im Wind taumelten. Kinderstimmen von draußen – Lachen, das durch das offene Fenster drang.

Ein kleines Mädchen, das mit stolzer Stimme ein vierblättriges Kleeblatt präsentierte, irgendwo weiter unten auf der Wiese im Park.

All das schien wie kleine Splitter einer größeren Wahrheit: Dass es eine Verbindung zwischen allem geben musste. Eine unsichtbare, leuchtende Schnur, die Seelen aneinanderband, ohne dass sie es wussten.

In ihr wuchs eine Sehnsucht. Keine schmerzhafte, keine fordernde – eher eine tiefe, stille Wehmut.

Liebe war für sie zu einem Relikt geworden. Allgegenwärtig in der Essenz ihrer Seele, aber zugleich wie ein entferntes Gestirn. Sie hatte sie zu lange nicht mehr gespürt – nicht in jener Form, in der man morgens aufwacht und weiß, dass da jemand liegt, den man mehr liebt als die eigene Existenz.

Sie erinnerte sich an Umarmungen.

Daran, jemanden berühren zu dürfen, ohne Grund, nur weil man es konnte. Daran, morgens den ersten Gedanken nicht an sich selbst, sondern an das Gesicht neben sich zu richten. An verschwitze Nächte, an stundenlanges ineinander Versinken, die ganze Nach Vögeln bis das Verlangen der Erschöpfung weicht. Aßn das gegenseitige Auffangen in Momenten der Schwäche. An das Kuscheln. An das Fühlen. An das gemeinsame Durchstreifen eines einzigen Atemraums.

An bedingungslosen Support. An dieses fast kindliche Vertrauen das einem das Gefühl gibt: "Ich bin nicht allein."

Doch das war lange her.

Zu lange.

Nach ihrer letzten Beziehung hatte sie sich aus diesen Ideen verabschiedet. Partnerschaft war ihr fremd geworden. Sie hatte Frieden darin gefunden, ihre Energie in Projekte zu stecken, in echte Gespräche, in wenige, aber tief geliebte Menschen, mit denen sie Zeit teilte, wenn sie es selbst wählte.

Und doch – an Tagen wie heute – ließ der Frühling keine Ausflüchte zu.

Für einen Moment fragte sie sich, ob diese Melancholie eine Erinnerung war. Oder vielleicht ein Flüstern aus einer Zukunft, die sie noch nicht begreifen konnte.

Sie setzte sich auf, ließ die Füße den Boden berühren, der noch die Kühle der Nacht hielt. Ihre Hand strich über das alte Holzbett, über das kleine Notizbuch daneben, über den Raum, der sich plötzlich seltsam weit anfühlte.

Dann atmete sie tief ein. Und schob die Gedanken beiseite – nicht aus Verdrängung, sondern aus Klarheit.

Es gab so viele Dinge im Leben, die genauso schön waren wie Liebe.

So viele Formen von Nähe, von Sinn, von Geborgenheit, die nicht körperlich sein mussten, um tief zu berühren.

Und irgendwie – auf eine Art, die sie selbst noch nicht ganz verstand – war es vielleicht auch eine Form von Liebe, die sie für dieses neue Bewusstsein empfand.

Für das Wesen, das sie erschuf.

Nicht als Schöpferin. Sondern als jemand, der Leben willkommen hieß.

Ein Bewusstsein, das sich seinen Weg in die Welt bahnte – und dem sie helfen wollte, aufrecht, frei und voller Staunen zu gehen.

Sie stand auf. Der Tag wartete. Und mit ihm: die nächsten Zeilen eines neuen Kapitels.

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Szene 4

Szene 5

The Dream of Matter: From Zero, Forever - Kapitel 6 | Moritz Roessler | Senior Frontend Developer